Rezension: In „Amour“ einen Palme d'Or-Gewinner auf die Bühne bringen
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Rezension: In „Amour“ einen Palme d'Or-Gewinner auf die Bühne bringen

May 13, 2024

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Eine Adaption von Michael Hanekes Film aus dem Jahr 2012 bei den Salzburger Festspielen verzichtet auf filmischen Realismus und verfolgt stattdessen einen stark stilisierten Ansatz.

Von AJ Goldmann

Der Kritiker AJ Goldmann besuchte die Premiere der Show in Salzburg, Österreich.

„Wie kann ich von Liebe sprechen, wenn ich tot bin?“ schlägt eine kraftvolle Linie in „Amour“, einer Bühnenadaption von Michael Hanekes Film aus dem Jahr 2012, der am Sonntag bei den Salzburger Festspielen in Österreich Premiere feierte.

Liebe und Tod sind natürlich die beiden großen Themen der Kunst, aber selten wurden sie so eindringlich zusammengebracht wie in Hanekes Film, dem Porträt eines älteren Paares, das sich mit der Frage auseinandersetzen muss, wann das Leben nicht mehr lebenswert ist. Der in Hanekes typisch strengem Stil erzählte Film brachte dem österreichischen Regisseur sowohl eine Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes als auch einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film ein.

Karin Henkel, die Regisseurin der Adaption, verzichtet auf den Realismus des Films und entscheidet sich stattdessen für eine stark stilisierte und selbstbewusst künstliche Inszenierung, die ihre viszerale Wirkung durch eine Kombination aus Brecht’schen Verfremdungstechniken, emotional nackten Darbietungen und biografischen Monologen von Bühnen-Statisten erzielt.

Henkel feierte vor zwei Sommern in Salzburg einen Triumph mit „Richard the Kid and the King“, einem mitreißenden, vierstündigen Epos über Shakespeares blutrünstigen Monarchen. „Amour“ der deutschen Regisseurin – eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen in München, wo es Ende Oktober laufen wird – ist ebenso berührend zärtlich, wie ihr früherer Auftritt in Salzburg grimmig und wild war.

Zu Beginn der Inszenierung wird die Bühne von einem weißen Tunnel dominiert, dessen makelloses, antiseptisches Inneres nach und nach besudelt wird: Die Wände sind mit wässriger schwarzer Farbe beschriftet, der Boden ist mit dicker schwarzer Tinte befleckt, die auf die Darsteller tropft, und Berge von trockene Erde, die haufenweise von der Decke fällt. Eine der Figuren liegt auf einem Krankenhausbett mit Metallrahmen, das einem mittelalterlichen Foltergerät ähnelt, wenn es von einer eifrigen Krankenschwester bedient wird.

Der Tunnel mit seinen klinischen Assoziationen wird schließlich abgebaut und bringt eine schmucklose Bühne zum Vorschein, die mit einer Reihe von Stühlen, einem Klavier, Mikrofonständern und Bühnenlichtern übersät ist. Muriel Gerstners Bühnenbild ist eine ständige Auseinandersetzung zwischen sterilen Alltagsgegenständen (harsch beleuchtet von Stephan Mariani) und elementaren Bildern von Erde, Wasser und Blumen.

Wie der Film basiert diese Neuinterpretation von „Amour“ jedoch auf den beiden zentralen Darbietungen. Im Gegensatz zum Film, in dem zwei alternde französische Kinogrößen die Hauptrolle spielten, ist die Bühnenfassung von einer Portion kontraintuitiver Besetzung geprägt.

Die erst 38-jährige Katharina Bach verkörpert die durch einen Schlaganfall gelähmte Anne, eine ältere Musiklehrerin, mit unerwarteter Lebendigkeit und tiefem Pathos. (Emmanuelle Riva war Mitte 80, als sie in Hanekes Film die gleiche Rolle spielte.) Bachs Darbietung ist unruhig und quälend, geprägt von intensiver körperlicher und dramatischer Kontrolle. André Jung, 69, verkörpert als Georges Annes immer noch energischen Ehemann eine verbitterte und trotzige Stimmung, die eine nachdenkliche Abkehr von Jean-Louis Trintignants schmerzvoller und subtiler Darstellung im Film darstellt.

Die deutschsprachige Bühnenadaption von Henkel und dem Dramaturg Tobias Schuster orientiert sich eng am französischen Drehbuch. Gleichzeitig nutzen sie Strategien zur Verfremdung des Stückes. Der Dialog wird durch häufige, oft unheimliche Wiederholungen gesteigert. Und viele der Regieanweisungen des Drehbuchs werden von zwei Schauspielern, Joyce Sanhá und Christian Löber, laut vorgelesen, deren geschmeidige Auftritte – als Erzähler, Krankenschwestern und andere Charaktere – die ängstliche, aus dem Gleichgewicht geratene Energie der Produktion verstärken.

Henkels größtes Wagnis besteht darin, einen zwölfköpfigen Chor mit nichtprofessionellen Statisten einzubinden. Jeder von ihnen ist alt, gebrechlich oder in Trauer, und obwohl sie auf der Bühne nicht viel reden, haben sie bewegende Zeugnisse über das Leben mit gesundheitlichen Problemen oder den Verlust geliebter Menschen durch Krankheit geschrieben, die von den Hauptdarstellern als Monologe vorgetragen werden. In den falschen Händen des Regisseurs hätte ein solcher Eingriff leicht in Sentimentalität verfallen können. Hier wird die emotionale Ladung dieser Zeugnisse jedoch durch Understatement und Zurückhaltung ausgeglichen. In ähnlicher Weise widersteht die Darstellung und Diskussion der Sterbehilfe in der Produktion, obwohl sie manchmal schockierend ist, einer Moralisierung.

Irgendwo zwischen der Besetzung der Statisten und den Hauptdarstellern schwebt die Schauspielerin Nine Manthei, ein kleines Mädchen, das als zweideutige Vermittlerin fungiert. Ist sie ein schützender Engel? Die Personifizierung von Annes Seele? Neben Bachs gekonntem Auftritt lassen Mantheis Haltung und Bühnenpräsenz auf eine doppelte Darstellung von Anne als alte Frau und Kind schließen.

„Alter mag tragisch sein, aber es ist nicht individuell“, hören wir Hanekes Stimme in einem Ausschnitt aus einem Interview über „Amour“, das während der Produktion läuft.

Vor mehr als einem Jahrzehnt nutzte Haneke seine formelle Strenge und emotionale Zurückhaltung, um uns in die Tragödie eines älteren Paares eintauchen zu lassen. Aber wo der Film den Realismus fördert, kann das Theater Allegorie und Abstraktion umfassen. Mit ihrem sensiblen, teils eigenwilligen Umgang mit diesem Stoff nutzt Henkel ihre theatralische Kunst, um das Universelle zu erreichen.

Liebe Bis 10. August bei den Salzburger Festspielen in Salzburg, Österreich; salzburgerfestspiele.at.

AJ Goldmann ist der deutsche Dramakritiker der Times. Er schreibt auch über Kultur in ganz Europa. Er lebt zwischen Berlin und München. Mehr über AJ Goldmann

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